Bidirektionales Laden, Preiskampf und Strukturwandel: Elektromobilität im Umbruch

12.05.2025 61 mal gelesen 0 Kommentare

Bidirektionales Laden: Ein Gamechanger für die Elektromobilität?

Bidirektionales Laden, auch als Vehicle-to-Grid (V2G) bekannt, könnte die Elektromobilität revolutionieren. Auf der Power2Drive in München wurde das Potenzial dieser Technologie umfassend diskutiert. Marco Piffaretti von der Internationalen Energieagentur (IEA) betonte, dass erneuerbare Energien zwar zentral, aber volatil seien. Um diese Schwankungen auszugleichen, brauche es kurzfristige Flexibilität – entweder durch Netzausbau oder durch intelligente Speicherlösungen wie V2G. Laut Piffaretti könnten durch V2G-Technologie beim Netzausbau rund 10 Milliarden Euro eingespart werden. Ein Hemmnis bleibt jedoch die fehlende Standardisierung, obwohl mit der ISO 15118-20 ein globaler Ansatz existiert. Die IEA arbeitet daran, innerhalb von zweieinhalb Jahren eine einheitliche „Sprache“ für die Interoperabilität zu schaffen.

Dr. Stephan Hell von Compleo Charging Solutions erläuterte, dass AC-bidirektionales Laden für Endkunden günstiger werden könnte. Ziel sei es, DC-Wallboxen unter 3.000 Euro und AC-Systeme unter 1.500 oder sogar 1.000 Euro anzubieten. Die Markteinführung plant Compleo für die zweite Jahreshälfte 2027, eine breitere Verfügbarkeit wird zwischen 2028 und 2030 erwartet – zunächst in Premiumfahrzeugen, später im Massenmarkt.

Dr. Mark Kuprat vom Projekt BI-CCS stellte eine bereits kommerziell verfügbare Gleichstromlösung vor, die Use Cases von Vehicle-to-Home bis Vehicle-to-Grid abdeckt. Besonders das „Redispatch 3.0“-Modell, bei dem Fahrzeugbatterien zur Netzstabilisierung beitragen, steht im Fokus. Die Kosten für Einspeisemanagement und Redispatch belaufen sich seit Jahren auf über eine Milliarde Euro pro Jahr – Kosten, die durch bidirektionales Laden reduziert werden könnten. Kuprat erwartet den breiten Einsatz frühestens Ende des Jahrzehnts.

Herbert Diess, Ex-VW-Chef und Verwaltungsrat bei The Mobility House, sieht im bidirektionalen Laden ein „Breitbandantibiotikum“ für die Elektromobilität. Elektroautos stünden 90 % der Zeit ungenutzt herum – eine große Batterie, die wenig genutzt wird. In Frankreich erhalten Kunden mit dem Renault 5 für die Rückspeisung etwa 10–11 Cent pro Stunde, was es ermöglicht, 10.000 Kilometer im Jahr gratis zu fahren. Auch Mercedes-Benz plant, sich dem System anzuschließen. Diess fordert eine Gleichstellung mobiler mit stationären Speichern und einen beschleunigten Smart-Meter-Rollout.

BMW und E.ON testen mit dem Projekt BDL-Next die Technologie mit realen Kunden. 20 Pilotkund:innen mit PV-Anlage werden gesucht, um Strom selbst zu speichern, zu nutzen oder am Markt zu handeln.

Jahr Erwartete Markteinführung (Compleo) Breite Verfügbarkeit
2027 Markteinführung
2028-2030 Breite Verfügbarkeit
  • Bis zu 10 Milliarden Euro Einsparpotenzial beim Netzausbau durch V2G
  • 10.000 Kilometer pro Jahr gratis fahren durch Rückspeisung (Frankreich, Renault 5)
  • DC-Wallboxen sollen unter 3.000 Euro, AC-Systeme unter 1.500 bzw. 1.000 Euro kosten

Infobox: Bidirektionales Laden bietet enormes Potenzial für Netzstabilität, Kosteneinsparungen und günstigere Mobilität. Die größten Herausforderungen sind Standardisierung und Marktdurchdringung. (Quelle: electrive.net)

Zittern in Zwickau: Die sächsische Automobilbranche sucht nach einem Plan B

Im VW-Werk Zwickau wurde kürzlich das einmillionste E-Auto produziert. Seit fünfeinhalb Jahren ist der Standort komplett auf Elektrofahrzeuge umgestellt, aktuell werden sechs Modelle der Marken VW, Audi und Cupra gefertigt. Jeder zweite Elektro-VW weltweit stammt aus Zwickau. Dennoch ist die Stimmung angespannt. Die Absatzflaute bei E-Autos führte bereits zum Abbau von 2.800 befristeten Stellen, die letzten 400 Beschäftigten müssen im Juni gehen. Auch die Stammbelegschaft ist betroffen: Das Werk läuft nur noch im Zweischichtbetrieb, Nachtschichten wurden gestrichen.

Wichtige Modelle wie die VW-Stromer der ID-Reihe werden künftig in Wolfsburg produziert, Zwickau wird verkleinert. Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter betont das „klare Bekenntnis“ der Staatsregierung zu VW in Zwickau und will alle Arbeitsplätze erhalten. Die Lage bleibt jedoch unsicher, da die deutsche Automobilindustrie stark vom Export abhängt. China ist vom Absatzmarkt zum Konkurrenten geworden, in den USA erschweren hohe Einfuhrzölle das Geschäft.

In Sachsen hängen 95.000 Jobs an der Automobilbranche, 80 Prozent davon bei rund 800 Zulieferern. Die Automobilfertigung macht knapp 29 Prozent des sächsischen Industrieumsatzes und fast 40 Prozent der Auslandsgeschäfte aus. Vertreter der Branche diskutieren über einen „Plan B“ für den Fall, dass das VW-Werk kippt, und über die Revitalisierung der gesamten Branche angesichts des absehbaren Endes des Verbrennungsmotors. Die Branche hat ein Fünftel der Umsätze gegenüber der Zeit vor Corona verloren.

  • 1.000.000 E-Autos in Zwickau produziert
  • 2.800 befristete Stellen abgebaut, weitere 400 folgen im Juni
  • 95.000 Jobs in Sachsen hängen an der Automobilbranche
  • 29 % des Industrieumsatzes und 40 % der Auslandsgeschäfte in Sachsen durch Automobilfertigung

Infobox: Die Zukunft des VW-Standorts Zwickau ist ungewiss. Die Automobilbranche in Sachsen steht vor massiven Umbrüchen und sucht nach Alternativen, um Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu sichern. (Quelle: nd-aktuell.de)

Elektromobilität: Eine neue Kultur und globale Verschiebungen

Andreas Herrmann, Direktor des Instituts für Mobilität an der Universität St.Gallen, sieht den Wandel zur Elektromobilität als unumkehrbar, auch wenn er länger dauert als erwartet. Die deutsche Automobilindustrie habe lange am Verbrennungsmotor festgehalten, während China frühzeitig auf Elektromobilität gesetzt und massiv staatliche Gelder investiert hat. Die Wertschöpfung verschiebt sich von der klassischen Mechanik hin zu Batterie, Steuerung und Infotainment. Die Batterie kommt meist aus Asien, was das Geschäftsmodell der deutschen Hersteller unter Druck setzt.

Herrmann betont, dass Elektromobilität nicht nur eine andere Technologie, sondern auch eine andere Unternehmenskultur erfordert. Software wird immer wichtiger, während die Hardware an Bedeutung verliert. Volkswagen scheiterte mit dem Versuch, eine eigene Softwareplattform zu entwickeln, und arbeitet nun mit Xpeng und Rivian zusammen. Der Wandel wird Jahrzehnte dauern, beide Technologien werden parallel existieren, da viele Märkte weltweit noch nicht reif für Elektromobilität sind. Die Entscheidung für Elektromobilität ist jedoch gefallen, der Trend ist nicht umkehrbar.

Für Zulieferer bedeutet das, dass das Kundenspektrum größer wird, aber auch, dass neue Fähigkeiten und Partnerschaften – etwa mit chinesischen Firmen – notwendig sind. Die Chinesen sind laut Herrmann „nicht mehr vom Markt zu eliminieren“. Autonomes Fahren wird sich schrittweise durchsetzen, Mischverkehr wird über Jahrzehnte bestehen bleiben. Die Intelligenz muss ins Fahrzeug, nicht in die Infrastruktur, um Skalierbarkeit zu gewährleisten.

„Wir dürfen nicht vergessen, dass es weltweit viele Märkte gibt, die nicht reif sind für Elektromobilität.“ (Andreas Herrmann, Universität St.Gallen)
  • Wertschöpfung verschiebt sich zu Batterie, Steuerung, Infotainment
  • Chinesische Hersteller sind technologisch führend und nicht mehr vom Markt zu verdrängen
  • Autonomes Fahren wird in den nächsten Jahrzehnten Mischverkehr mit konventionellen Fahrzeugen bedeuten

Infobox: Der Wandel zur Elektromobilität ist global und kulturell tiefgreifend. Deutsche und Schweizer Zulieferer müssen sich auf neue Technologien und Märkte einstellen, insbesondere auf China. (Quelle: LEADER Digital)

Direct Payment als Schlüssel zur E-Mobilität

Caroline Hagby, Head of EV Charging bei GLS Mobility, sieht einfache und direkte Zahlungsmöglichkeiten als essenziell für das Wachstum der Elektromobilität. Deutschland liegt bei der Ladeinfrastruktur im europäischen Vergleich nur im „wohlwollenden Mittelmaß“, während Länder wie die Niederlande weiter sind. Ursache ist das „Inseldenken“ der Branche, das zu einer heterogenen Landschaft an Bezahlsystemen führt.

Hagby fordert, dass Bezahlen an Ladesäulen so einfach wie im Alltag sein muss – kontaktlos mit Karte, Handy oder Smartwatch. 85 Prozent aller Kartenzahlungen sind heute kontaktlos. Die Komplexität der aktuellen Systeme schreckt Nutzer ab und hemmt die Verbreitung der E-Mobilität. Statt Innovationskraft in proprietäre Bezahlsysteme zu stecken, sollte die Branche auf bestehende Standards setzen. Potenzial sieht Hagby in variablen Stromtarifen, intelligentem Parkraummanagement und Vehicle-to-Grid-Konzepten. Sie fordert zudem eine langfristigere Gesetzgebung, um Investitionen und Innovationen zu fördern.

„Der Strom muss fließen – und das Geld auch.“ (Caroline Hagby, GLS Mobility)
  • 85 % aller Kartenzahlungen sind kontaktlos
  • Deutschland liegt bei Ladeinfrastruktur im europäischen Vergleich im Mittelfeld
  • Komplexe Bezahlsysteme hemmen die Akzeptanz der E-Mobilität

Infobox: Einfache, standardisierte Bezahlsysteme sind entscheidend für die Akzeptanz und das Wachstum der Elektromobilität. Die Branche muss sich stärker am Nutzer orientieren. (Quelle: electrive.net)

E-Auto-Rabatte: CO2-Vorgaben setzen Autobranche unter Druck

Die Autoindustrie steht unter Druck, den CO2-Flottenausstoß zu reduzieren. Um die CO2-Obergrenzen einzuhalten, müssen mehr E-Autos verkauft werden – das gelingt derzeit vor allem über den Preis. Opel orientiert die Händler-Vergütung am Verkauf von E-Autos. Jean-Philippe Imparato, Europachef von Stellantis, betont: „Wer E-Autos verkauft, wird reich.“ Während Verbrenner teurer werden, sinken die Preise für Stromer. Die Branche hofft auf staatliche Kaufanreize, um den Absatz zu steigern.

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer prognostiziert, dass die Rabatte für Elektroautos in den nächsten Monaten weiter steigen werden. Die EU hat die CO2-Grenzwerte für Autos gelockert, dennoch bleibt der Druck auf die Hersteller hoch. Die Ladeinfrastruktur wächst, weist aber weiterhin Lücken auf.

  • Opel koppelt Händler-Vergütung an E-Auto-Verkauf
  • Verbrenner werden teurer, Stromer billiger
  • Rabatte für E-Autos werden laut Experten weiter steigen

Infobox: Die Einhaltung der CO2-Vorgaben zwingt Hersteller zu Preissenkungen bei E-Autos. Die Preisschlacht dürfte sich in den kommenden Monaten weiter verschärfen. (Quelle: ZDF)

Pionierarbeit: Die ersten E-Autos aus Erlangen

Bereits in den 1980er-Jahren baute Helmut Hädrich in Erlangen sein erstes Elektroauto – zu einer Zeit, als in Deutschland noch verbleites Benzin Standard war. Das erste Modell entstand aus verstärkten Fahrradrohren, das zweite hatte bereits eine Reichweite von 30 Kilometern, ausreichend für den Arbeitsweg. Hädrich blieb jedoch oft liegen und musste von seiner Frau abgeschleppt werden. Die Motivation war weniger Umweltbewusstsein als die Faszination für Technik und das Tüfteln.

Nach ersten Solarautos entwickelte Hädrich mit einem Freund ein rein elektrisch betriebenes Auto, indem sie einen Gabelstaplermotor in ein altes Auto mit Motorschaden einbauten. Die TÜV-Abnahme war eine große Hürde: Erst im dritten Anlauf und mit Hilfe eines Ingenieurs, der Mitglied im Elektroautoverein war, gelang die Zulassung für 150 Mark. Fünf Jahre lang fuhr Hädrich sein selbst gebautes Elektroauto täglich zur Arbeit und zu Energiesparwettbewerben. Damals war Solarenergie noch ein Luxusgut, das erste Förderprogramm für Solarpanels kam erst 1990.

Hädrich sieht Veränderung als etwas, das durch eigenes Handeln greifbar wird. Heute engagiert er sich im „Zentrum für Austausch und Machen“ (ZAM) in Erlangen und im Reparatur-Café, wo er mit Menschen aller Altersgruppen an technischen Lösungen arbeitet.

  • Erstes Elektroauto in den 1980er-Jahren gebaut
  • 30 Kilometer Reichweite, täglicher Einsatz zur Arbeit
  • TÜV-Abnahme im dritten Anlauf für 150 Mark
  • Erste staatliche Förderung für Solarpanels ab 1990

Infobox: Helmut Hädrich war ein Pionier der Elektromobilität in Deutschland. Seine Erfahrungen zeigen, wie viel Eigeninitiative und Durchhaltevermögen für technische Innovationen nötig sind. (Quelle: SZ.de)

Quellen:

Ihre Meinung zu diesem Artikel

Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Bitte geben Sie einen Kommentar ein.
Keine Kommentare vorhanden
Counter